DIY- Kreativer Selbstverwirklichungs-Trend vs. Freiheitsbewegung
- Journalism International
- 7. Jan. 2024
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Nov. 2024

“Das war zu meiner Zeit auch schon in Mode!”, “Ach, das trägt man wieder?!”.
Aussagen älterer Generationen, weitläufig aus dem 20. Jahrhundert. Was sich heute oft als Trend herausstellt, fand oft einst in der Vergangenheit mit anderem Hintergrund statt.
DIY - Etymologie eines Akronyms
“Do it yourself” - “Mach es selbst”. Das Akronym vertritt sich ausgesprochen für eine unverwechselbare, eindeutige Aussage. Ob ein Bild, ein Webteppich, das Renovieren des Eigenheims oder liebevolle Geschenkideen - DIY steht für die kreative Selbstverwirklichung eines Projektes, ohne Fremdhilfe.
“ Akronym: Ein Wort, das aus den Anfangsbuchstaben anderer Wörter oder (gelegentlich) aus den Anfangsteilen von Silben anderer Wörter gebildet wird und als Ganzes als ein einziges Wort ausgesprochen wird (z. B. NATO, RADA). (OED) |
Historisch suggestive Revolution - die frühen Anfänge der Urbanisierung
Vielmehr als nur ein neumodisch prägender Trend, gilt DIY als eine geradezu dynastische Bewegung ohne Zeitlimit.
Wo einst die Industrialisierung ab dem Ende des 18. Jahrhunderts begann, gab es auch zunehmend gemischte Gefühle unter der Bevölkerung, es kam zur industriellen Revolution.
Bereits ab den 1840er Jahren beklagte man protestierend in Großbritannien die Auswirkungen der industriellen Herstellung von Produkten. Die Wirtschaft schaffte es zwar bemerkenswert auf eine nächsthöhere Stufe, gab doch der Ressourcenreichtum an Kohlevorkommen, als Lösung für die zu hohe Abholzung knapper Waldflächen in Großbritannien einen Einstieg.
Nicht nur materiell gab es einen zu bemengelnden Qualitätsunterschied zwischen der Industrie und dem fachmännischen Handwerk. Die Industrialisierung brachte viele Vorteile, aber auch viele Nachteile mit sich. Mit der Erfindung und Weiterentwicklung der Newcomenschen und späteren Progression zur Wattschen Dampfmaschine, die mit Kohle angefeuert werden konnte, sowie der Spinnmaschine, entstanden die ersten Meilensteine der Industrialisierung.
“ Spinning Jenny: 1764 vom Baumwollweber James Hargreaves (1721–1778) aus Lancashire, mit anfänglich 8 Spulen erfunden, wurde die von Menschenkraft angetriebene Spinnmaschine schnell weiterentwickelt, 1769 jedoch durch die Waterframe, einer, von Sir Richard Arkwright erfundenen, durch Wasserkraft angetriebenen Spinnmaschine, deren garn deutlich stärker als die von “Spinning Jenny” war. |

Ein Zeitalter, das als Auslöser für die größte Wanderungsbewegung in der Geschichte der Menschheit einhergeht, (TU Dresden, S.9) sorgte jedoch nebst zunehmenden Arbeitsplätzen, auch für viele Probleme, gerade gesundheitlich. Aus der Industrialisierung kam also nicht nur eine industrielle Revolution, sondern auch eine Urbanisierung hervor.
“ Urbanisierung: Unter Urbanisierung versteht man zum einen eine überproportionale Zunahme der Stadtbevölkerung und zum anderen die Herausbildung einer urbanen Lebensform mit erheblicher Auswirkung auf die Gesamtgesellschaft, also einen qualitativen Prozess. (Bayerische Staatsbibliothek) |
Die zunehmende gespaltene Meinung zu diesem Zeitalter ließ auf der einen Seite den Geldbeutel und auf der anderen Seite die Unzufriedenheit wachsen.
So kam es im 19. Jahrhundert zu einem für den Begriff “DIY” bedeutenden Schritt nach vorne.
“AaC” - Propagierende Auflehnung gegen die Industrialisierung
Historisch gesehen fanden die ersten “DIY-Steps” bereits in den 1860er Jahren statt. Wo sich einst laute Stimmen bekannt machten, kam es nun zu der “Arts-and-Crafts”-Reformbewegung. Ein Zusammenschluss aus Menschen, besonders Künstlern, die sich gegen die industrielle Produktion und für eine architektonische und designrevolutionierte Erneuerung propagiert einsetzten.
Hintergrund für die Entstehung der “Arts-and-Crafts”-Bewegung, die auch mit “Do-it-yourself”-Bewegung synonymisiert wird, waren also vor allem die Priorisierungen auf eine humanere Herstellung von Produkten:” Produkte entwickeln, die nicht nur mehr Integrität aufweisen, sondern auch auf weniger unmenschliche Weise hergestellt werden.” (Victoria and Albert Museum)
“Arts-and-Crafts” oder auch “DIY” standen und stehen für “Wertschätzung, die die Gesellschaft der Art und Weise beimisst, wie Dinge hergestellt werden”. (Victoria and Albert Museum)
Aller Anfang ist schwer. So gab es ab 1888 eine jährliche Ausstellung der “Arts-and-Crafts” Exhibition Society im South Kensington Museum (heute Victoria and Albert Museum). Wo dekorative Künstler, im Gegensatz zu Malern oder Bildhauern, einst wenig Beachtung für ihre Werke erhielten, fokussierte man sich auf die Neuverleihung der öffentlichen Bedeutung.
Vor dieser Ausstellung hatten dekorative Künstler, ohne regelmäßige Ausstellungsmöglichkeiten, wenig Chancen, Einfluss mit ihren Werken auszuüben und dadurch weder potentielle Kunden zu erreichen, noch die Verbreitung ihrer persönlichen “Message” kundzutun.
Die “Arts-and-Crafts” Exhibition Society erhoffte sich mit der ersten Ausstellung einen Wandel des sozialen und intellektuellen Status des Kunsthandwerks in der Gesellschaft. War diese doch viele Jahre lang die einzige öffentliche soziale Plattform dekorativer Künstler, um entscheidend die Art und Weise zu verändern, “wie Menschen auf hergestellte Objekte blickten.” (Victoria and Albert Museum)
Als bekanntester Pionier der Bewegung gilt William Morris, der berühmteste Designer des 19. Jahrhunderts. Durch die, seit seines Studiums bestehende Zugehörigkeit der Studentengruppe “The Set” oder “The Brotherhood”, wurde Morris sich der gesellschaftlichen Spaltung bewusst und sein Interesse, “eine Alternative zu den entmenschlichenden Industriesystemen zu schaffen, die minderwertige, “unnatürliche” Objekte produzierten” (Victoria and Albert Museum), war geweckt.

Unzufrieden mit den kommerziellen Angeboten an Inneneinrichtungs Mobiliar, gründete er mit seiner Frau und gemeinsamen Freunden des Künstlerkreises 1861 das Inneneinrichtungsfirma Morris, Marshall, Faulkner & Co..”Alles sollte von Hand in Kisten verpackt werden , ein Prinzip, das das Unternehmen entschieden gegen die Mainstream-Fokussierung auf industrialisierten „Fortschritt“ stellte.” (Victoria and Albert Museum)
William Morris hatte mit seinen viktorianisch fokussierenden Designs, die so gar nicht in die damalige Industrialisierungszeit hinein passten, einen deutlichen Einfluss auf die Gesellschaft. So schlossen sich viele Menschen der “Arts-and-Crafts”-Bewegung aufgrund seiner inspirierenden, tiefgründig aussagekräftigen Arbeiten an.
Crossmedialität - Von historisch prägender Bewegung zum Zeitzeugen als Zielgruppe
In Anlehnung an die “AaC”- oder auch “DIY”-Bewegung, fand der nächste einschlagende Schritt Richtung selbstverwirklichender Kunst statt. Die ersten Baumärkte der Welt wurden gegründet.
“ - 1959: “Do-it-yourself” Markt in Zürich-Albisrieden (CH), durch Gottlieb Duttweiler (heute Do it + Garden Migros) - 1960: “Bauhaus” in Garage in Mannheim (DE), durch Georg Baus - 1968: “Hornbach” in Bornheim, Pfalz (DE), durch Otmar Hornbach; erster kombinierter Bau- und Gartenmarkt |
Mit dem verbreiteten, gut ankommenden System der jederzeit verfügbaren Option, Handwerksmaterialien für das Eigenheim oder kleinere eigen hergestellte Projekte zu kaufen, machten sich neue Zweige in der Crossmedialität breit. So gab es bereits vor der Gründung des ersten weltweiten Baumarktes, im Februar 1944 im Deutschen Rundfunk eine Art Anleitung des Selbermachens im Eigenheim zu hören, was an spätere Fernsehsendungen, wie des vom WDR, von 1974-2004 produzierten Formates Hobbythek, was als älteste “DIY”-Fernsehsendung Deutschlands gilt.

Nebst den Vorreitern im lokalen Einzelhandel, im deutschen Hör- und Rundfunk oder im deutschen Fernsehen kam ab 1965 das erste “DIY”-Fachmagazin in den Handel - “Selbst ist der Mann”. Es erscheint noch heute unter demselben Verlag, Bauer und bringt eine sagenumwobene Reichweite von 1,18 Millionen (BauerAdvance) auf die Beine. Auch der Spiegel zollte dem Thema im Jahr 1965 einen Leitartikel “Do-it-yourself - Geschäft mit der Freizeit”. (Spiegel)


Bedeutungswandel - Selbstverwirklichungs-Trend vs. Freiheitsbewegung
Mit dem fortschreitenden Wiederaufbau in der Nachkriegszeit, deren Zeitzeugen damals vormals als Zielgruppe der “DIY”-Fachmagazine und anderer Kanal-Formate galten und der zunehmend steigenden Infrastruktur, kamen immer mehr technologische "Footprints" hinzu. Mit der Erfindung des Internets und dem immer rasanteren exponentiellen Anstieg dessen Features, fing der Blogger-Reichtum an. Immer mehr Foren öffneten sich. Es kamen Kreativdenker hervor, die sich nun als Autoren und Künstler verstanden. Alleine in den sozialen Netzwerken gibt es bis heute stetig steigend, unvorstellbare Anzahlen an Accounts, Videos und Fotos mit den #Hashtags und/ oder in der Content-Beschreibung verwendeten Begriff “DIY”.
Ist deutlich zu bemerken, dass “DIY” längst nicht nur symbolisch für das Heimwerkern im und am Eigenheim oder dem selber bauen von Mobiliar wahrgenommen wird, sondern insbesondere ausweitbar auch selbstgebastelte, kleinere Geschenkideen, wie das Erstellen eines Albums oder einer Schmuckschatulle dazugezählt werden. Auch die Fashion- und Beauty-Industrie haben längst Fahrt aufgenommen und Materialien wie mit Blumen bestückte Haarreifen, mit der Zeit gehende biologisch abbaubare, vegane Kleidung, Lippenstifte, Badekugeln oder Haarshampoo fallen nun mit unter den Begriff.
Fazit:
Wo man einst ernsthafte revolutionäre Absichten für humanere, soziale Lösung im “Kampf” gegen industrielle Produktionen von Objekten als Bewegung implizierte, entwickelte sich Jahrzehnte später ein ganzer “DIY”-Lifestyle mit der Eröffnung von für jedermann zugänglichen Baumärkten, ersten Bauplänen, die im Eigenheim umgesetzt werden konnten oder den ersten “DIY”-Zeitschriften, bis hin zum heutigen Trend einer riesigen Masse an “DIY”-Foren, -Social Media Accounts oder -Videos in Mediatheken.
Hinter “Do-it-yourself” steckt weitaus mehr, als lediglich etwas selbst gebasteltes. Es steckt Liebe zum Detail, der Hintergrund, sich selbst kreativ verwirklicht zu haben und insbesondere Gedanken, Emotionen, Zeit und oftmals eigenfinanzierte Rohstoffe in diesen Produkten.
Erhält man also ein selbstgestaltetes Geschenk, so sollte man stets im Hinterkopf behalten, dass dies etwas individuelles, ganz besonderes, von Herzen kreiertes ist, dass nicht nur Dank und Anerkennung verdient, sondern auch vermittelt, dass sich die Person nicht nur Mühe mit der Herstellung gemacht hat, sondern sich auch Gedanken um den Beschenkten als Person gemacht hat.
Literaturverzeichnis:
https://baueradvance.com/brands/selbst-ist-der-mann/ (Zugriff am 07.01.2024)
https://www.deutschlandfunkkultur.de/eine-geschichte-des-do-it-yourself-100.html (Zugriff am 07.01.2024)
https://digital.deutsches-museum.de/de/digital-catalogue/collection-object/25202/#2 (Zugriff am 06.01.2024)
https://epub.jku.at/obvulihs/content/titleinfo/495706/full.pdf (Zugriff am 07.01.2024)
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Urbanisierung#:~:text=Unter%20Urbanisierung%20versteht%20man%20zum,Gesamtgesellschaft%2C%20also%20einen%20qualitativen%20Prozess. (Zugriff am 07.01.2024)
https://www.oed.com/dictionary/acronym_n?tab=meaning_and_use#21690328 (Englisch. Zugriff am 05.01.2024)
https://www.tate.org.uk/art/artworks/beerbohm-topsy-and-ned-jones-settled-on-the-settle-in-red-lion-square-a01049 (Englisch. Zugriff am 05.01.2024)
https://tu-dresden.de/gsw/phil/forschung/forschungseinrichtungen/zit/ressourcen/dateien/zit/lehre/archiv/ws_2011_2012/industrielle_revolution?lang=de (Zugriff am 06.01.2024)
https://www.vam.ac.uk/articles/arts-and-crafts-an-introduction (Englisch. Zugriff am 05.01.2024)
https://www.vam.ac.uk/articles/introducing-william-morris#:~:text=A%20key%20figure%20in%20the,focus%20on%20industrial%20%27progress%27. (Englisch. Zugriff am 07.01.2024)
https://de.wikipedia.org/wiki/Baumarkt#cite_note-1 (Zugriff am 07.01.2024)
Abbildungsverzeichnis:
Abb. 1: Journalism International (JI)
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